Was ist Ikebana für mich?

Diese Frage wird mir immer wieder gestellt und die Antwort ist nicht mal eben gegeben. Denn es gibt mehrere Ebenen, die mich am Ikebana faszinieren. Es ist für mich vor allem die innere Berührung, die mich den Kado, den Blumenweg gehen lässt.

Aber es geht auch um äußere Dinge wie Design, Proportion und Ästhetik und Schlichtheit der Arrangements. So sind es auch tief verwurzelte Lebensweisheiten, die jedem Ikebana innewohnen. Die Ehrfurcht vor dem Leben und das Annehmen von dem, was das Leben von mir abverlangt. Denn auch ich wurde von meinem Lebensweg geprägt, der mich genau hierhin, zum Schreiben dieser Zeilen auf meiner Homepage geführt hat. Auf diesem Weg bin ich vor allem an Krisen gewachsen und habe aus ihnen gelernt. Ein Ikebana zeigt aus diesem Grund nicht nur die schönen „Sonnenseiten“, sondern betont vor allem die Schattenseiten und Verletzungen, die die Pflanzen erlebt und kompensiert haben. So sieht man häufig, dass die Pflanzen so gestellt werden, dass Wunden und Narben, die das Leben gebracht haben, sichtbar werden. So verbiegt sich und wächst  z. B. ein Ast in die Richtung, in die ihn der ständig wehende Wind geführt hat. Ebenso können Löcher in Blätter und Abrisse durch Tierfraß oder auch von Menschenhand entstanden sein. Genau dies wird dann im Arrangement sichtbar und sogar betont.

Der/die Betrachter*in erkennt, dass sich die Pflanze diesen Schicksalsschlägen des Lebens hingegeben und sich trotzdem entfaltet und ihren Weg in Richtung des Lichts gefunden hat. Dies ist das Wesen eines Ikebanas, das Leben in all seinen Fassetten darzustellen, das ist mein Weg, „mein Ikebana“.

Im folgenden möchte ich einige häufig gestellte Fragen zu Ikebana aus meiner Sicht beantworten.

Was genau beschreibt Ikebana?

Ikebana ist die japanische Kunst des Blumenstellens. Aus dem Japanischen übersetzt bedeutet es so viel wie „lebende Blume, lebendige Pflanze“. Der Wortteil „ike“ hat seinen Ursprung zum einen in „ikeru“ = Pflanzen stellen, Pflanzen anordnen, zum anderen „ikiru“ = am Leben erhalten sowie „ikasu“ = Leben deutlich sichtbar machen. „bana“, abgeleitet von „hana“, ist das japanische Wort für Blume, Blüte und Pflanzen. Das heißt, die Pflanzen und Blumen werden so arrangiert, dass ihre Lebendigkeit und Lebenskraft zum Ausdruck kommen. Das Arrangieren ist nicht nur ein unseren Schönheitssinn befriedigendes Anordnen von Blüten und Zweigen nach erlernbaren Vorschriften. Vielmehr wird in jedem Arrangement etwas von dem offenbar, was und wie wir selbst sind, was wir erfahren haben und was wir werden möchten. Alles was an Hoffnung, Enttäuschung, Frohsinn und Schmerz, Versagen und „Geglückt sein“ unser Leben geformt hat –woran wir uns also selbst geformt haben –prägt die Begegnung mit den Blüten und Zweigen, die gerade vor uns auf dem Tisch liegen oder im wassergefüllten Eimer neben uns warten.

„Ikebana heißt, die Schönheit der Blume sichtbar machen.

Ikebana heißt, das Wesentliche erfassen lernen.

Ikebana ist Ausdruck der Jahreszeit.

Ikebana bedeutet Raum für Gedanken.

Ikebana ist sehen lernen.“

(Ingrid Eichinger: Museum Aktuell 2011)

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Worauf kommt es beim Ikebana an?

In unserer „westlich, europäischen“ Tradition werden Blumen oder Äste z. B. als Blumenstrauß in einer Vase arrangiert. Hierbei geht es dann um die Fülle eines Straußes und häufig wird das Augenmerk auf eine Vielzahl von Blüten hingelenkt. Der Strauß ist dann, je nach Geschmack, bunt oder farblich abgestimmt, jedenfalls meist in Form eines kugelähnlichen Designs, welches dann mit Blättern am unteren Rand abgeschlossen ist. Die „Draufsicht“ ist dann im Mittelpunkt. 

Im Ikebana wird die Lebendigkeit der Pflanze gezeigt und betont. Wie ist sie gewachsen, wo ist die Licht- und die Schattenseite? Die Linien der Stängel oder Äste spielen eine besondere Rolle, denn hieran kann der Betrachter erkennen unter welchen Licht- und Wetterverhältnissen die Pflanze in der Natur gewachsen ist. Vor allem geschwungene Linien, Verletzungen, wie Fehlstellen (Löcher) z. B. durch Tierfraß oder Narben sind besonders interessant und lenken die Aufmerksamkeit des Betrachters auf sich. Jede Pflanze hat eine Licht- und eine Schattenseite, jede Pflanze wendet sich dem Licht zu, der Kraft, die das Leben zu Entfaltung bringt. Dies gilt es im Ikebana darzustellen. Hierbei ist es nicht wichtig, dass es eine Fülle von Pflanzen und Blüten gibt, ganz im Gegenteil, die Lebendigkeit und der Anmut einer einzigen Blume, einer Blüte, arrangiert im korrespondierenden Gefäß, kann schon ein faszinierender und berührender Anblick sein.

Wie kann das Arrangieren von Blumen meditativ sein?

Die Begegnung mit den Pflanzen ist immer auch ein Sich-selbst-Begegnen, ein kreativer Prozess des Innehaltens im eigenen Sein und ein Offenbarwerden des jenseits des Tagesbewusstseins verborgenen, kreativen Prozesses. Die kreative Kraft schöpft sich aus der Stille, aus der Meditation. Es geht beim Arrangieren darum, sich auf das einzulassen was ist, in die Stille zu horchen, die Pflanze aus der Intuition in das Gefäß zu stellen. Es geht immer nur um den einen Augenblick, um das „Geschehen lassen“, was jetzt gerade anliegt. Die erlernten Regeln und das immer wiederkehrende Einüben sind natürlich eine unabdingbare Grundlage und ein sicheres Fundament, dass eine Kreation gelingen kann. Es ist vielleicht vergleichbar mit dem Spielen eines Instruments. Die Sicherheit und die Präzision des Spielens erhält der/die Musizierende nur dann, wenn die Grundlagen immer wieder geübt werden und wenn diese „in Fleisch und Blut“ übergegangen sind, üben, üben und nochmals üben sind die sichere Basis zur Perfektion. Eine gelungene Improvisation oder ein Solo innerhalb eines Musikstücks gelingt und berührt die Zuhörer nur dann, wenn es aus der Tiefe des Beherrschens des Instruments (also aus der Routine), gepaart mit der Kreativität des Augenblicks entstehen kann. Diejenigen, die ein Instrument beherrschen wissen, dass es hierfür viele Stunden des Trainings und der Wiederholungen bedarf.

In der formalen Übung der Meditation ist es ganz genauso: Der oder die Meditierende sitzt in Stille und fokussiert sich z. B. auf seinen Atem. Es entstehen automatisch Gedanken, Körperempfindungen und Gefühle, welche auch wieder vergehen, wenn man die Aufmerksamkeit immer auf den gegenwärtigen Augenblick (z. B. Fokussierung auf den Atem) lenkt. Dadurch entsteht ein Annehmen, eine radikale Akzeptanz, dessen was jetzt -von Augenblick zu Augenblick- geschieht. Immer und immer wieder, Meditation bedarf ebenfalls der regelmäßigen Übung. So ist es auch beim Ikebana stellen: Nur aus der Stille des Augenblicks, aus der Annahme dessen, was die Pflanzen einem bieten „geschieht“ das Arrangieren, geschieht der kreative Prozess. Bei der Meditation können auch unangenehme Gedanken und Gefühle entstehen. So auch beim Arrangieren: Die Pflanze folgt nicht dem Willen des oder der Arrangierenden, die Pflanze lässt sich nicht so stellen, wie man will oder hält nicht an dem Ort, wo man sie gerne hätte. Auch hier gilt: Annehmen, sich einlassen, seine Gedanken und Gefühle erkennen, atmen und neu ansetzten. So kann man im wahrsten Sinne das Scheitern lernen, die Pflanzen sind somit gute Lehrer fürs Leben. 

Das Stellen von Ikebana entstammt dem japanischen Zen bzw. den sog. Zen-Künsten, einer buddhistischen Tradition und wird als KADO – Blumenweg bezeichnet (jap. KA=Blume, DO=Weg).

Wie funktioniert die japanische Blumenkunst? (Grundregeln, was braucht man, wie geht man vor)

Als der Buddhismus im 6. Jahrhundert von China kommend in Japan Einzug erhielt, stellte man Blumen auf den Altar. Ab dem 8. Jahrhundert gehörte das Betrachten und Genießen von Blumenarrangements außerhalb der Tempel zu den Freuden des Adels. Im frühen 16. Jahrhundert wollten die Menschen dann mehr als nur schöne Blumen in einer Vase. Zu der Zeit war Ikebana nicht nur noch ein Privileg von Mönchen, Adelskreisen und der Samurai, sondern wurde von reichen Kaufleuten und einer breiteren Bevölkerungsschicht praktiziert. Sie entdeckten die Harmonielehre der Blumen und setzten sich bewusst mit der Wirkung ihrer Arrangements auseinander. Das war die Geburtsstunde des Ikenobo-Ikebana. Die Ikenobo-Schule ist die älteste Ikebanaschule Japans mit ihrem traditionellen Hauptsitz in Kyoto.

„Die über 500-jährige Geschichte des Ikenobo-Ikebana ist eine Geschichte der Suche nach der essenziellen Wahrheit im Leben von Blumen und Pflanzen. Wesen und Ursprung des Ikebana liegen schon im Herzen des Menschen, bevor ein Ikebana Form annimmt. Wenn man ein schönes Herz hat, wird auch die Form des Ikebana schön.“
(Sen’ei Ikenobo, Ikenobo-Headmaster, 45. Generation)

Die Ikebana-Techniken der Ikenobo-Schule lassen sich in drei große Gruppen einteilen: Rikka, Shoka, Jiyuka (oder freier Stil). Im Shoka -als eine wesentliche Grundform- wird die lebendige Schönheit und die natürlichen Eigenschaften einer jeden einzelnen Pflanze in einem schlichten Arrangement zum Ausdruck gebracht. Die Ursprungsform ist das traditionelle „Shoka Shofutai“. Hierin werden die „Urkräfte, die im Universum pulsieren“, dargestellt. Es besteht aus drei Hauptlinien: Shin, Soe und Tai (siehe Zeichnung). Sie symbolisieren die Einheit des Lebens und dessen ständige Veränderung. Hierbei bedeutet Shin so viel wie „Wahrheit, Reinheit, Wirklichkeit“ und steht als größte Linie in der Mitte des Arrangements. Soe bedeutet „Begleitung, Ergänzung, Assistent“ und Tai stellt den „Körper, den Ursprung der Pflanze“ dar. Shin neigt sich zuerst zusammen mit Soe zum Licht. Während der Aufwärtsbewegung führt ihn seine eigene Kraft und Natur zur Stellung über der Mitte des Gefäßes zurück. Im übertragenden Sinne könnte man auch sagen, dass Shin den Menschen symbolisiert. Soe erwidert Shin, reflektiert die Bewegung zum Licht und zeigt den Einfluss anderer Umweltfaktoren. Sie steht sinngemäß für „Himmel“. Zuletzt vermittelt die Tai-Gruppe das Gefühl von Energie, sie zeigt den Zeitpunkt, wo das Wachstum gerade begonnen hat, die junge Pflanze. Sinngemäß steht sie für „Erde“. Shoka kann man auch als umgeformte Natur bezeichnen. Es wird in Übereinstimmung mit dem wesentlichen Charakter eines jeden Materials arrangiert. Der Grundgedanke ist, dass das Leben eines jeden Zweiges, Blattes und jeder Blume kostbar ist und dass jedes von ihnen zu Schönheit der Shoka-Form beiträgt. 

„Durch das Leben der Pflanze suchen wir nach der Schönheit und indem wir dies tun, finden wir die Schönheit in unserem Herzen.“

(Elsbeth Herberich, Ikenobo-Ikebana-Lehrerin, Holzkirchen)

Als sich zum Ende des 19ten Jahrhunderts starke westliche Einflüsse in Japan bemerkbar machten, erlebte die Kunst des Ikebana einen starken Wandel, es entstand der sogenannte freie Stil, Jiyuka. Die Freie Form lässt sich grob unterteilen in einen naturalistischen und einen abstrakten Stil. Für beide wird das Pflanzenmaterial in einer neuen Art verwendet. Im naturalistischen Stil werden die Pflanzen nach den natürlichen Wachstumsprinzipien unter Berücksichtigung bestimmter Grundregeln gestaltet. Im abstrakten Stil wird das Ikebana zur Skulptur. Man darf die Pflanze verfremden und so als Werkstoff verstehen. Die Pflanzen liefern Form, Farbe, Masse, Linie und sollten sich zu einer harmonischen Einheit verbinden. Trotzdem werden die Schönheit und die besonderen Eigenarten der Pflanzen hierbei berücksichtigt. Aus dem kreativen Gebrauch der Pflanzen zum Erzeugen von Effekten oder Stimmungen entspringen für die Freie Form unbegrenzte Möglichkeiten. 

 

Werkzeuge und Hilfsmittel

Wie oben dargestellt, eignet sich für Anfänger ein Shoka-Arrangement am besten, da man hiermit das Auge für Linien und den Wuchs der Pflanze am besten schulen und üben kann. Das Gefäß ist immer auch Teil eines Ikebanas und sollte sich in die Gesamtharmonie einfügen. In Fachgeschäften gibt es eine Vielzahl von Gefäßen in verschiedenen Formen und Farben. Weiterhin haben sich Keramiker*innen auf Ikebana-Gefäße spezialisiert, die im Gegensatz zu gewohnten Blumenvasen (diese eigenen sich in der Regel nicht) die Ikebana-Arrangements optisch unterstützen und hervorheben. Die Ikebana Gefäße tragen wesentlich zu einem harmonischen Gesamtbild bei und gehören untrennbar zum Arrangement.

Neben einer Ikebana-Schere, die wegen ihrer Form und ihres speziellen Schliffs saubere und präzise Schnittkanten entstehen lässt, ist die Verwendung eines sogenannten Steckigels (jap. Kenzan) ratsam. Dieses Hilfsmittel bietet einen sicheren Halt für die Pflanzen, da sie auf seine nagelförmigen Spitzen aufgespießt werden können. So kann jeder Stängel oder Ast individuell in die richtige Richtung eingesteckt werden. Weiterhin gibt es viele andere Befestigungsmöglichkeiten, z. B. im Nageire-Stil, bei dem mit einem sogenannten Kubari, einem Pflanzenhalter aus Zweigstücken, gearbeitet wird. Dieser wird für jedes Gefäß vor dem Arrangieren händisch angefertigt und angepasst. Doch Anfänger*innen sollten zunächst -wie oben beschrieben- mit einem traditionellen Shoka beginnen, um ein Auge für Linien und Harmonie zu erlangen um dann mit etwas Übung im freien Stil, dem Jiyuka, ihrer meditativen Kreativität freien Lauf zu lassen.